DanceAbility-Workshop vom 22.-26. April 2002 in Erlangen


Als ich im März 1997 eine Bildungsreise nach Eugene, Oregon (USA) machte, wurden uns dort verschiedene Angebote vorgestellt, wie Menschen mit Behinderungen die Freizeit verbringen können: Klettern, Reiten, River Rafting, ... Unter anderem wurde uns DanceAbility vorgestellt. DanceAbility ist eine Art, sich zu bewegen bzw. zu tanzen, die vom Choreographen Alito Alessi mit seinem spastisch behinderten Tanzpartner Emery Blackwell seit 15 Jahren praktiziert und weiterentwickelt wird. Dabei können (fast) alle mitmachen, eventuell vorhandene Hilfsmittel wie der Rollstuhl von Emery werden in den “Tanz” miteinbezogen.

Ich muss gestehen, dass ich mich nur noch wenig an den damaligen Nachmittag erinnern kann. Ich weiß nur noch, dass ich ziemlich begeistert war und unmittelbar danach erwogen hatte, an einem dreiwöchigen Workshop von Alito und Emery teilzunehmen, die regelmäßig im Sommer in Eugene stattfinden. Ich vergaß dies wieder.

Hellhörig wurde ich, als ich dieses Jahr im Februar durch eine E-Mail bzw. durch ein Faltblatt in der Umlaufmappe vom Zentrum für selbstbestimmtes Leben in Köln erfuhr, dass Alito einen Workshop in Erlangen anbieten wird. Wegen meiner Probleme, eine Übernachtungsmöglichkeit in Erlangen zu finden, wollte ich meine Teilnahme schon gedanklich streichen, doch quasi in letzter Minute konnte eine der Organisatorinnen mir doch noch ein Privatquartier anbieten.

Um es vorwegzunehmen: Die Zeit in Erlangen war unbeschreiblich schön. Die 20 Personen große Gruppe war nahezu die beste, die ich je erlebt habe, so dass die Woche auch zu einer sehr intensiven Gruppenerfahrung wurde, was auch durch die “Methoden” (s. u.) bedingt war.
Ich würde DanceAbility nicht als Tanz bezeichnen, sondern als eine ganz intensive Art, den Körper und seine Bewegungen wahrzunehmen. Im Unterschied zum Alltag, in dem die meisten Bewegungen zweckgeleitet sind, geht es bei DanceAbility darum, Bewegungen (egal welcher Art) zum Selbstzweck auszuführen: Allererste (und eigentlich auch einzige) Priorität hat es, die ganze Konzentration auf die völlig selbstgewählten Bewegungen zu richten und jeder einzelnen davon nachzuspüren. So war es unsere Aufwärmübung jeden Morgen von einer “konzentrierten” Ruheposition heraus zunächst eine einzelne Bewegung zu machen. Je weiter die Woche fortgeschritten ist, desto mehr konzentrierte Bewegungen haben wir in dieser Phase gemacht, wobei wir mit der Zeit auch andere Personen in unsere Bewegungen miteinbezogen und sie berührten.

Vielen, auch mir, fiel es zunächst schwer, konzentriert bei den eigenen Bewegungen zu bleiben, ohne daran zu denken, wie das, was wir machen, für Außenstehende aussieht. Deshalb empfiehlt es sich, die Augen zu schließen. Nicht oft genug kann betont werden, dass es überhaupt nicht darauf ankommt, welche bzw. bestimmte Bewegungen auszuführen es kommt einzig und allein auf die “Qualität” der Bewegungen an. Als wir wie bereits erwähnt ab Mittwoch anfingen, andere Leute zu berühren, ist es sehr wichtig, zu lernen bzw. sich klar zu machen, dass es unterschiedliche Qualitäten von gegenseitigen Berührungen gibt: z. B. die (auf eine andere Person gerichtete) erotische Berührung oder die “konzentrierte” Berührung beim Miteinander-“Tanzen”.

Im Folgenden möchte ich einige der sehr interessanten “Übungen” beschreiben, die wir in dieser Woche machten:

Als wir damit begannen, uns auch gegenseitig zu berühren, waren beliebte Übungen:

Gegen Ende der Woche wurden die “Aufgaben” natürlich anspruchsvoller. So taten wir uns in Gruppen zu drei bis fünf Personen zusammen und erarbeiteten zweimal eine längere Performance. Beidesmal war es die Aufgabe der Gruppe, sich bestimmte Grund-Bewegungen zu überlegen, die dann verschieden oft und in verschiedenen Variationen nach einem festgelegten Ablauf wiederholt wurden. Die beiden Performances waren die einzigen Situationen, in denen wir Bewegungen nicht “aus dem Bauch bzw. aus dem Gefühl heraus” machten, sondern diese vorher überlegt und festgelegt waren: Alito platzierte als Choreograph die einzelnen Performances der vier bzw. fünf Gruppen so im Raum und gab uns zeitliche Anweisungen, so dass eine Gesamtperformance aller entstand. Schade, dass jede Person im Stück involviert war, und daher niemand (außer Alito) das Geschehen von außen betrachten konnte.

Zwei Elemente, auf die Alito besonders Wert legte, habe ich bisher noch nicht erwähnt:

In der Gruppe war so gut wie niemand dabei, mit dem ich nicht irgendwann während der Woche einmal zusammengearbeitet habe. Trotzdem war insbesondere ein Mann dabei, mit dem das “Teamwork” besonders gut geklappt hat. Dies fiel auch anderen in der Gruppe auf.

Einige TeilnehmerInnen, die schon Erfahrung mit DanceAbility hatten, meinten bereits zu Beginn der Woche, DanceAbility sei ein “Virus”, der einen erfasst und nicht mehr loslässt. Am Donnerstag bin ich infiziert worden: So habe ich meine sämtlichen Bewegungen außerhalb des Workshops viel bewusster als sonst und als sehr angenehm wahrgenommen. Leider, leider hat mich der Virus verlassen, seitdem ich wieder in Bonn bin.

Martin Seidler

 

Mehr über Danceability: http://www.danceability.com


© Martin Seidler
Letzte Aktualisierung: 15.07.2003