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Viele Leute haben mich kurz vor und kurz nach meinem Urlaub in Schweden gefragt, ob ich über diese Reise wieder einen Bericht schreibe. Eigentlich habe ich ja bisher nur über meine Bildungsreisen Berichte geschrieben, aber wenn ich schon quasi darum gebeten werde, kann ich schlecht nein sagen. Und ich werde mich ja schließlich auch freuen, wenn ich den Text in ein paar Jahren lese und so meine Erinnerungen auffrischen können werde.
Ich entdeckte in meinem entsprechenden Dateiverzeichnis zwei angefangene Berichte über zwei frühere Fahrten nach Schweden, über die ich auch etwas schreiben wollte, aber nicht über die ersten beiden Seiten hinausgekommen bin; dank meiner Kur in Bad Wildungen hatte ich im September/Oktober genügend Zeit und Muße, dieses Mal meine komplette Reise tagebuchartig festzuhalten.
Schon lange war es mein Traum gewesen, einmal mit dem Fahrrad in Stockholm herumzufahren. Bislang war dies nicht zu verwirklichen, weil die Fahrradmitnahme in schwedischen Fernzügen nicht erlaubt bzw. nicht möglich ist. Auch als ich vor drei Jahren mit einem Gutschein von Köln aus nach Arlanda, dem internationalen Flughafen der schwedischen Hauptstadt, geflogen bin, hieß es, mein Dreirad sei zu groß, um mitgenommen werden zu können.
Dieses Jahr im Januar wurde eine neue Fährverbindung von Rostock nach Södertälje (30 km südwestlich von Stockholm) in Betrieb genommen und ich sah meine Chance gekommen. Doch als ich im Juni konkret eine Überfahrt buchen wollte, stellte ich fest, dass die Linie nach nur vier Monaten wegen mangelnden Bedarfs wieder eingestellt wurde. Ein paar Wochen später erinnerte ich mich an die Busse mit Fahrradmitnahmemöglichkeit des Reiseunternehmers NAToURs, von denen ich in der Mitgliederzeitschrift des Verkehrsclubs Deutschlands (VCD) gelesen hatte. Zwei solcher Verbindungen führen nach Schweden; eine nach Värmland, die andere, welche bis letztes Jahr in Småland (Südschweden) endete, wurde dieses Jahr bis Stockholm verlängert. Ich fragte an und bekam die gewünschten Fahrttermine (25./26.7. für die Hinreise und 10./11.8. für die Rückkehr) mit meinem Dreirad bestätigt.
Weil es mir auf bisherigen Reisen relativ viele Nerven gekostet hat, jeweils täglich neu zu überlegen, wo ich als nächstes hinfahren möchte, hatte ich dieses Jahr meine Route vorher festgelegt und die entsprechenden Jugendherbergen von Deutschland aus gebucht. Sicherheit und ein erholsamer Urlaub mit möglichst wenig Stress waren mir dieses Jahr wichtiger als Flexibilität.
Einundzwanzig Stunden dauert die Busfahrt von Osnabrück nach Stockholm laut Fahrplan. Es war für mich eine Horrorvorstellung, 21 Stunden sitzen zu müssen. Letztes Jahr fuhr ich mit dem Zug 13 Stunden von Kopenhagen nach Nürnberg und hatte keinen Liegeplatz mehr bekommen selbst das war schon hart an der Grenze dessen, was auszuhalten ist. Ich machte mir Gedanken darüber, wieviel Verpflegung und wieviel Flüssigkeit ich wohl einpacken muss, und wie das mit den Aufenthalten sein wird, um auf die Toilette zu gehen?
Die Reise begann so entspannt wie noch nie. Ich schaute z. B. ganz bewusst noch einmal, ob der Herd aus ist und die Wohnungstüre abgeschlossen ist, damit ich während des Urlaubs keinen Gedanken daran verschwenden musste. Auch ein bestimmter Brief, vor dem ich Horror hatte, war bis zum Abreisetag nicht im Postkasten.
Ich wählte einen so frühen Zug, um bereits knapp drei Stunden vor Abfahrt des Busses in Osnabrück anzukommen. Die Bahnfahrt von Bonn aus klappte ausnahmsweise mal problemlos, selbst das knappe Umsteigen in Münster. In Osnabrück hatte ich so bei herrlichen Sommerwetter noch Zeit genug, mir etwas zu essen und zu trinken zu kaufen.
Als ich um kurz nach 17.00 Uhr zum Abfahrtsort des Busses kam, traf ich ein Pärchen, das im gleichen Zug wie ich aus Düsseldorf gekommen war, kurze Zeit später kam ein Mann, der in Stockholm promoviert, in den letzten drei Wochen mit dem Fahrrad von Stockholm aus zu seinen Eltern nach Deutschland gefahren war, und jetzt wieder zurück zur Arbeit muss.
Das Pärchen sagte mir, dass es im Bus Liegeplätze gibt, und dass ich doch am besten gleich fragen solle, ob noch einer frei ist.
Um 17.30 Uhr kam der Bus mit Fahrradanhänger. Damit war meine Frage geklärt, wie die Fahrräder transportiert werden. (Sie werden wie im Interregio mit dem Vorderrad senkrecht aufgehängt und natürlich sicher verschnürt.)
Entgegen meiner Befürchtung und meinem Vorurteil, dass Busfahrer immer etwas komische Zeitgenossen sind, begrüßten uns zwei nette junge Männer. Es stellte sich heraus, dass wir vier die einzigen Reisenden ab Osnabrück sind und auch in Bremen und Hamburg (die beiden weiteren möglichen Zustiegsorte) nur noch eine bzw. zwei Personen zusteigen werden. Alle wollten nach Stockholm, so dass wir die anderen von NAToURs angebotenen Ausstiegsorte in Schweden nicht anfahren mussten.
Nach der Fähre von Putgarden nach Rødby, auf der wir teilweise als Gruppe zusammen waren, bauten die Fahrer die „Betten“. Da es insgesamt zwanzig davon im Bus gibt, war mehr als genug Platz für jedeN da, doch trotzdem wurde nicht darüber diskutiert, dass für die Liegemöglichkeiten 15 Euro zu zahlen sind, was nicht alle wollten. Ich bekam den Luxus zugestanden, zwei Liegeflächen nebeneinander für mich haben zu können, und schlief hervorragend.
In der Woche vor der Abfahrt hatte ich verfolgt, dass ein Tief über Südschweden lag. Wie ich nachher hörte, führte der Regen in Småland teilweise zu Überschwemmungen. Doch kaum waren wir in Schweden, wurde das Wetter schön. Wir machten eine lange gemütliche Frühstückspause an einer Raststätte am Vättern und saßen alle gemeinsam bei herrlichen Sonnenschein auf der Terrasse des Restaurants.
Kurz nach unserem Halt wurde klar, dass wir doch noch jemanden aus Norrköping mit nach Stockholm mitnehmen sollten. Leider verschätzte sich der eine Fahrer mit der Fahrzeit und machte ein viel zu spätes Treffen aus, so dass wir eine knappe Stunde überbrücken mussten. „Wir“ wählten einen See aus (mit Hilfe meiner Karte!) und machten dort Halt. Doch leider war am Ufer teilweise ein Campingplatz und teilweise ein Wald, so dass ich nichts vom Wasser sah, weil ich nicht so weit laufen konnte bzw. wollte.
In Stockholm verfuhren wir uns und drehten kurz vor dem Ziel noch eine ungewollte Runde, weil wir uns unsicher waren, ob die Brücke zur Insel Långholmen den Reisebus aushalten kann. Durch die Wartezeit und die erwähnten zwei Umwege waren wir doch erst um 14.30 Uhr am Ausstiegsort und hatten unseren „Vorsprung“ von drei Stunden „verspielt“, der dadurch entstanden war, dass wir - wie erwähnt - die ganzen möglichen Ausstiegsorte in Småland nicht anfahren mussten.
Nach der Eincheckprozedur in der Jugendherberge Långholmen, einem ehemaligen Gefängnis, konnte ich endlich losradeln. Erst einmal erkundete ich die Insel Långholmen, die viel größer ist, als ich dachte, und von der ich bisher immer nur die Jugendherberge und die wunderschöne Liegewiese mit Bademöglichkeit am südlichen Ufer des Mälaren (Meerarm, der sich im Landesinneren zu einem See ausdehnt) wahrgenommen hatte.
Ich wollte einmal die Insel umfahren und kam an eine Stelle mit unebenen Weg, die nur ca. 1 Meter breit war. Zum Wasser hin ging es ein paar Meter steil bergab. Ich schob die ca. 50-100 Meter, weil Fahren mir zu gefährlich erschien. Doch kurz nach dieser schmalen Stelle hörte der Weg an einer Treppe auf. Da wurde mir ziemlich mulmig und bekam einen ordentlichen Adrenalinschock! Ich schob mein Fahrrad rückwärts Meter für Meter die schmale Stelle zurück und war heilfroh, als ich wieder den breiteren Weg erreicht hatte.
Auf einem der ziemlich guten Fahrradwege Stockholms fuhr ich dann am Ufer des Mälaren in die Innenstadt zum königlichen Schloss und durch die Touristenmeile von Gamla Stan, der Altstadt. Danach radelte ich auf Södermalm, den lebendigsten Teil von Stockholm. Als ich nach einem Essen auf einer Bank auf Medborgarplatsen, einem der zentralen Platz auf Södermalm, wo „das Leben tobt“, saß, sah ich Rauch aufsteigen und wunderte mich. Zuerst überlegte ich, ob vielleicht ein historisches Dampfschiff auf dem Mälaren fährt, doch schnell wurde mir klar, dass ein Hochhaus auf Södermalm brannte. Da ich mich doch noch etwas unsicher in der Stadt bewegte und auch nicht wusste, wie weiträumig abgesperrt wird, fuhr ich schnell zur Jugendherberge und setzte mich noch auf die Wiese am Wasser. - Ich finde es immer wieder unglaublich toll, dass mensch in Stockholm mitten in der Stadt baden kann.
(Wie ich später im Internet nachlas, brannte das obere Stockwerk eines Wohnhauses. Der Brand konnte schnell gelöscht werden und niemand wurde verletzt. Aber es sah recht bedrohlich und gefährlich aus.)
Nach der ersten Nacht freute ich mich schon auf das Frühstück: Im gleichen Gebäude wie die Jugendherberge ist auch ein Hotel und das Frühstücksbuffet ist im Restaurant des Hotels - sehr reichhaltig, aber auch entsprechend teuer.
Kurz nach mir kamen die beiden Busfahrer und setzten sich zu mir an den Tisch. Sie erzählten, dass durch den Brand eine ganze Bucht voll Rauch war, aber das Feuer schnell gelöscht wurde.
Das Wetter war wieder sehr schön, um nicht zu sagen: heiß. Der Strand auf Långholmen war schon am Vormittag gut voll - mensch könnte meinen, ganz Södermalm versammelt sich dort. Aber ich wollte ja was von der Stadt sehen. So fuhr ich auf Skeppsholmen und danach auf Djurgården. Nachmittags ging ich in Skansen, einen Tierpark und zugleich ein Freiluftmuseum. Von den Tieren war wenig zu sehen - ihnen war vermutlich zu warm. (Besonders über Rentiere erfuhr ich aus der Informationstafel am entsprechenden Gehege, dass diese Tiere ihre Aktivität bei +15 Grad einstellen und sich eigentlich nur bei Minusgraden so richtig wohlfühlen ...)
Am nächsten Tag (28.7.) ließ ich mir das Tablett mit dem Frühstück nach draußen auf die Terrasse des Hotels bringen - es war schon morgens richtig heiß - und dachte beim Essen: Das ist Urlaub pur! (Beim Frühstück freue ich mich übrigens immer am meisten auf die Filmjölk mit Müsli. Filmjölk ist so ein Zwischending zwischen Buttermilch, Sauermilch und Joghurt - dieses Milchprodukt vermisse ich in Deutschland schmerzlich.)
Ich fuhr durch die Einkaufsmeile/Fußgängerzone und entdeckte Humleparken, eine Grünanlage mitten in der Stadt. Als ich so da saß, sah ich Uniformierte mit Marschmusikinstrumenten die Straße entlang kommen - teilweise zu Fuß, teilweise auf Pferden. Ich folgte ihnen und schnell wurde mir klar, dass der Zug zum Stadtschloss auf Gamla Stan führte und dass es sich um die Ablösung des Wachpersonals handelte. Ich verfolgte die Zeremonie, aber konnte vor lauter anderen Touristen nicht so viel sehen.
Danach fuhr ich zum Fernsehturm, um mir Stockholm (mal wieder) von oben aus anzusehen, und fuhr durch ein paar Stadtteile. Es war unerträglich heiß!
An diesem Tag und mehrmals während der Zeit, die ich in Stockholm verbrachte, blieb ich am Nybroplan „hängen“: Dort war die bemerkenswerte Ausstellung „Jorden sett fra himmlen“ (Die Erde vom Himmel aus gesehen) des französischen Fotografen Yann Arthus-Bertrand zu sehen. Es handelt sich hierbei um 120 Fotos im Format 1,80x1,20 m, die aus ganz unterschiedlicher Höhe aufgenommen wurden, und auf Probleme aufmerksam machen wollen. Unter jedem Bild ist ein kurzer erläuternder Text zu lesen - in der Sprache des Landes, in der die Ausstellung gezeigt wird (also schwedisch), in englisch und französisch. (vgl. http://www.yannarthusbertrand.com/us/expose/index.htm). Sehr eindrucksvoll!
Am Abend sah ich auf der Wiese am Strand auf Långholmen bei einem Spiel (Kubb?) zu, das ich während der Reise mehrmals beobachtete - es muss im Moment in Schweden die große Mode sein. Aber die genauen Regeln habe ich immer noch nicht begriffen; irgendwie werden Holzklötze aufgestellt, die dann durch zielgenaues Werfen von Holzstäben umgeworfen werden müssen. Es erinnert mich entfernt an Boccia mit zwei Parteien.
Am nächsten Tag hatte ich geplant, Stockholm Richtung Süden zu verlassen. Da wieder sehr schönes Wetter war, kam mir die Idee, nicht – wie geplant – mit dem Pendeltåg (entspricht einer S-Bahn) nach Nynäshamn zu fahren, sondern zu versuchen, die 60 Kilometer mit dem Fahrrad zu fahren. Ich nahm die falsche Ausfallstraße und habe mich hoffnungslos verfranzt, so dass ich relativ schnell von der Idee Abstand nahm, die Strecke zu radeln. Auf dem Weg wieder in die Stadt kam ich durch ein Neubaugebiet, das 2008 (!) fertig sein soll. Ich sah Schienen und Haltestellen und dachte schon, die sind aber früh dran. Inzwischen weiß ich aber, dass dieser Ast der für Stockholm neuen Stadtbahn Mitte August, also drei Wochen später, in Betrieb gegangen ist. - Ich finde das toll, dass die ÖPNV-Anbindung fertig ist, noch bevor die Wohnungen bezogen werden.
Obwohl ich am Tag zuvor gefragt hatte, ob die Mitnahme meines doch recht sperrigen Fahrrads im Pendeltåg möglich ist, hatte ich doch etwas Sorge, ob es in der konkreten Situation nicht doch Probleme geben könnte. Doch ganz im Gegenteil: Ein Mitarbeiter von Stockholms Lokaltrafik rannte mir regelrecht nach, um mir in den Zug hineinzuhelfen; an den Einstiegen waren nämlich zwei Stufen zu überwinden. Etwas überrascht war ich, wie „klein“ der Pendeltåg ist - von innen sehen die Wagen aus wie eine Straßenbahn.
Im Nachhinein bin ich heilfroh, dass ich doch mit dem Zug gefahren bin, besonders wegen der knallenden Sonne! Irgendwie wäre ich sicher auch mit dem Fahrrad in Nynäshamn angekommen, aber warum hätte ich mir so einen Gewaltakt zumuten sollen?
Nach einer Stunde Fahrzeit mit dem Zug kam ich am Fährterminal in Nynäshamn an, wo ich mir erst einmal mein Ticket für die Überfahrt nach Visby auf Gotland am nächsten Morgen kaufen wollte, das ich per E-Mail vorbestellt hatte. Das Schiff soll um 7.00 Uhr ablegen, was für mich sowieso schon wegen des dafür erforderlichen frühen Aufstehens eine Hürde auf der Reise darstellte, jetzt sagte mir die Frau am Ticket-Schalter auch noch, ich solle 30-40 Minuten früher da sein ...
Ich machte mich auf den Weg zur Jugendherberge, die eigentlich nicht weit war, aber auf der anderen Seite der Gleise lag. Und um die zu überqueren, musste ich ein ziemliches Stück fahren, das ich dann auf der anderen Seite der Schienen wieder zurückfahren musste. Aber die Jugendherberge liegt sehr schön: Sie ist einem Campingplatz angegliedert, der an einer schönen Meeresbucht liegt.
„Natürlich“ waren die Fähr-Abfahrtszeiten der Verwalterin von Jugendherberge bzw. Campingplatz bekannt und die Frau sagte, ich solle den Zimmerschlüssel am kommenden Morgen einfach auf dem Bett liegen lassen.
Die gute Frau versuchte mir mehr Geld abzuknöpfen, weil ich ein Zimmer für mich allein hatte. Ich verhinderte das, indem ich sagte, ich habe nichts dagegen, mein Zimmer mit jemanden zu teilen, aber ich blieb (wie zu erwarten war) alleine im Raum. - Dies war sehr angenehm nach drei Nächten im Acht-Bett-Zimmer der Jugendherberge auf Långholmen!
Nachdem ich mich etwas hingelegt bzw. ausgeruht hatte, machte ich die Geschäftsstraße und eine Pizzeria ausfindig. Dort aß ich eine total leckere (und übergroße!) Pizza mit Schinken, Bananenscheiben und Curry - diese Kombination („Pizza Indiana“) habe ich in Deutschland noch nie gesehen!
Ich setzte mich noch eine Weile an die Meeresbucht auf den Campingplatz und ging dann relativ früh ins Bett!
Das Aufstehen um viertel vor fünf klappte - mir fiel ein Stein vom Herzen - und auch das Sachen-Zusammenpacken und Aufladen des Gepäcks auf mein Fahrrad ging ohne Probleme. Hatte ich gedacht, dass nur ich so früh aufstehe, so hatte ich mich geirrt: Sehr viele (sowohl in der Jugendherberge als auch auf dem Campingplatz) waren auch bereits wach.
Aus meiner Sorge heraus, die Fähre zu verpassen, war ich dann viel zu früh, nämlich bereits um 6.00 Uhr, am Fährhafen. Es war noch ziemlich frisch. Aber als ich darauf wartete, an Bord fahren zu können (was dann ab 6.30 Uhr möglich war), brach die Sonne auf einmal durch die Wolken und es wurde schnell wieder sehr, sehr warm.
Knapp fünf Stunden Überfahrt sind doch eine lange Zeit. Nachdem ich zuerst eine Weile auf Deck war und die Sonne genoss, entschloss ich mich, etwas zu essen. Das Frühstücksbuffet wollte ich eigentlich nicht, weil es relativ teuer war und ich Sorge hatte, dass ich nicht auf meine Kosten komme, aber eine Mitarbeiterin des Schiffes bot sich an, mir zu helfen, so dass ich doch beim Buffet zuschlagen konnte - es gab zudem nichts anderes zu essen. Später holte mir die Mitarbeiterin noch eine zweite Portion filmjölk, sodass ich das Frühstück in vollen Zügen genoss.
Gotland, die Sonneninsel, machte ihrem Namen alle Ehre: Die Sonne knallte, der Himmel war wolkenfrei.
An der Straße zur Altstadt von Visby war ein Fahrradverleih, der alle Arten von Fahrrädern und –anhängern anbietet – nur eben leider keine Dreiräder!
Ich fuhr die Küste ein paar hundert Meter entlang und legte mich auf eine Wiese am Wasser. Durch Bäume und die Stadtmauer als Wärmeschutz war es angenehm kühl. Weil es mich ja nie lange auf einer Stelle hält, fuhr ich weiter die Küste entlang an mehreren Strandbädern mit Sandstrand vorbei. Ich überlegte mir, ob ich vielleicht doch nicht die ganzen vier Tage in Visby bleiben, sondern zumindest eine Nacht in einer anderen Jugendherberge übernachten sollte. Doch nach einigen Kilometern am Meer kam eine ziemliche Steigung, die mich dazu veranlasste, zurück zur Altstadt zu fahren und meinen Plan, über die Insel zu einer anderen Jugendherberge zu fahren, fallen zu lassen. Ich radelte gemütlich in der Altstadt mit ihren abwechslungsreichen Gassen herum. Leider liegt diese am Hang und die Straßen sind teilweise sehr steil, aber während der Zeit in Visby fand ich heraus, wie ich von der Uferstraße durch die Altstadt in den oberen Teil der Stadt kommen konnte, ohne vom Fahrrad abzusteigen und schieben zu müssen.
Ich hatte mich ziemlich auf Visby gefreut und den Aufenthalt dort als so etwas wie den Zielpunkt meiner Reise angesehen, doch als ich in die Jugendherberge kam, war ich schon ein wenig enttäuscht. Wie in einigen anderen Orten Schwedens auch wird eine Schule in dem langen Sommerferien, der Hauptreisezeit, als Jugendherberge genutzt. Im Prinzip ist dies eine gute Idee, nur bringt es mit sich, dass alles etwas provisorisch ist: Die Schlafsäle sind relativ groß, die sanitären Anlagen sind den Erfordernissen in einer Schule entsprechend spärlich gesät und die Wege relativ weit. Ich war etwas enttäuscht.
Als ich mich eingerichtet hatte, fuhr ich noch einmal in der Altstadt herum und aß etwas. Am Abend erlebte ich einen Bilderbuch-Sonnenuntergang: Ein roter Feuerball am wolkenfreien Himmel versank im Meer. Leider hatte ich noch nicht „meine“ Bank (oberhalb des Doms) entdeckt, von wo aus ich einen Blick über einen großen Teil der Altstadt und auf das Meer hatte und den Sonnenuntergang noch besser hätte beobachten können; so beobachtete ich das Naturereignis direkt am Meer, wo vorgelagerte Mauern und Steinwälle etwas die Sicht versperren.
Wieder in der Jugendherberge angekommen, machten sich andere gerade auf den Weg, um (noch einmal) weg zu gehen. Ich hatte den Eindruck, Visby hat ein sehr ausgeprägtes Nachtleben - nach Einbruch der Dunkelheit muss es da so richtig losgehen.
Am frühen Morgen des nächsten Tages (31.7.) gewitterte es - der einzige Regen, den ich während meines Schweden-Aufenthalts erlebte. Doch als ich nach dem für schwedische Verhältnisse etwas kargen und nicht gerade liebevoll dargebotenen Frühstück nach draußen kam, war nichts mehr davon zu merken. Es war zwar bis zum späten Vormittag etwas verhangen, doch dann knallte die Sonne wieder unerbittlich.
Ich hatte so große Lust, auf der Insel herumzufahren, dass ich die Ausfallstraße Richtung Fårö suchte und etwa einen Kilometer weit fuhr. Dann sah ich den Wegweiser: Fårösund 51km, und die Straße war sehr befahren, so dass ich mir dachte, den Stress tue ich mir nicht an, umdrehte und mich lieber wieder auf die Wiese unter Bäumen am Meer legte. Später fuhr ich wieder etwas am Meer entlang und durch die Altstadt.
Gegen Mittag bekam ich Hunger und fuhr zu einem großen Supermarkt. Es war eine richtige Wohltat, aus der Sommerhitze in das gut klimatisierte kühle Geschäft zu kommen. Auf der Suche nach einem schönen Platz zum Picknik fand ich die oben beschriebene Bank oberhalb des Doms.
Um 19.00 Uhr fand ein kleines Konzert mit Gitarre und Querflöte im Garten der Dom-Kirchengemeinde statt. Diese Grünfläche, die mit einer Mauer umgeben und daher vom Touristenstrom abgeschirmt ist, bildet eine regelrechte Oase in der sonst zu dieser Jahreszeit sehr belebten (besser: „begangenen“) Altstadt von Visby, die übrigens während der Hauptreisezeit für den Autoverkehr gesperrt ist.
Es schien mir so, dass dieses Kulturangebot mehr ein Insider-Tip war, denn außer vier (anderen) Deutschen und mir begrüßten sich alle übrigen ZuhörerInnen gegenseitig, so dass ich annehme, dass sie EinwohnerInnen von Visby sind.
Die Musikdarbietung mit sowohl klassischen als auch modernen Stücken war sehr schön - noch dazu wegen der angenehmen Atmosphäre in dem Garten.
Im Anschluss daran stellten sich die beiden MusikerInnen vor, die aus Falun in Dalarna angereist waren. Vielleicht ist es rassistisch, aber mir fiel positiv auf, mit welcher Selbstverständlichkeit die dunkelhäutige Flötistin als ihre Herkunft diese mittelschwedische Stadt nannte.
Eingerahmt wurde das Konzert von kurzen Bibelmeditationen des Pfarrers und Hausherrs. Er bot im Anschluss daran noch einen gegenseitigen Austausch an, zu dem ich aber nicht blieb.
Stattdessen wollte ich von „meiner“ Bank aus den Sonnenuntergang beobachten, aber an diesem Abend war der Himmel leider bewölkt, so dass ich nicht so lange dort blieb. Ich fuhr noch zu einer Art Kneipe, aß dort eine Portion Pfannkuchen mit Eis und Marmelade; dann machte ich mich auf den Weg zur Jugendherberge.
Auch am folgenden Tag (1.8.) brannte die Sonne wieder vom Himmel.
Wieder ärgerte ich mich etwas über das Frühstück. Dachte ich bisher, mensch erkennt Deutsche daran, dass sie sich zuerst Müsli auf den Teller füllen und dann Milch bzw. filmjölk darüber schütten, so wurde ich eines Besseren belehrt: Auch die Frau von der Rezeption, die mir beim Zusammenstellen des Frühstücks half, tat dies so - und das schmeckt mir bei Weitem nicht so gut wie wenn das Müsli auf der filmjölk „schwimmt“ - es heißt ja auch „filmjölk med flingor“ und nicht umgekehrt (wie in Deutschland „Müsli mit Milch“).
Vor dem Frühstück gab ich noch meine Schmutzwäsche ab mit der Bitte, sie zu waschen. (Im Jugendherbergsverzeichnis war angegeben, dass es in Visby die Möglichkeit gibt, Wäsche zu waschen, und die Frau an der Rezeption hatte sich angeboten, dies für mich zu tun.) Sie sagte, ich könne die Wäsche am Nachmittag wieder in Empfang nehmen.
Vormittags radelte ich in ein bestimmtes Wohngebiet, um die Stadtbibliothek ausfindig zu machen, in der ich einen Internet-Arbeitsplatz vermutete, um meine E-Mails zu lesen. Leider umsonst, denn die Bücherei hatte wegen Umbaus bzw. Umzugs in den Ferien geschlossen. Nun gut, dann fuhr ich wieder in der Altstadt umher, die unwahrscheinlich vielseitig ist. An diesem Tag und auch noch an den beiden Tagen danach entdeckte ich immer wieder Gassen und Sträßchen, durch die ich noch nicht gefahren war. Ich schaute mir unter anderem ein paar der zahlreichen Ruinen von Kirchen an, die zwischen dem 11. und dem 14. Jahrhundert erbaut worden waren, fuhr durch den botanischen Garten und machte dann wieder eine längere Pause auf einer Bank auf der Wiese an der Küste.
Ich weiß nicht, woran es liegt, aber während ich jede Menge Schnellrestaurants fand, in denen es Pizza und Kebap gab, fand ich keine Imbissläden, in denen Pasta-Gerichte angeboten werden. Deshalb war ich froh, dass ich an einem etwas abgelegenen Ort einen Verkaufsstand (Wohnwagen) entdeckte, an dem es Nudeln gab. Ich ließ mir ein Gericht in einer Alu-Schale einpacken und fuhr zur Jugendherberge, um in der dortigen Gästeküche zu essen. Mir lief das Wasser bereits im Mund zusammen, doch als ich die Schale öffnete, fand ich Spirelli-Nudeln - irgendwie hatte ich was anderes erwartet. Auch der Geschmack war nicht so, wie ich ihn mir erhofft hatte - es war ziemlich fade (und ich hatte nichts zum Nachwürzen). Sehr ärgerlich!
Ich fragte nach meiner Wäsche und erfuhr, sie sei noch „etwas feucht“; ob ich noch Geduld bis morgen früh haben könne. Ja, die hatte ich natürlich.
Nach einer kurzen Ruhepause fuhr ich noch einmal in die Altstadt - zu der besagten Bank. Zwar war auch an diesem Abend der Sonnenuntergang nicht so gut zu beobachten, doch ich genoss meinen Lieblingsplatz trotzdem: Eine junge Frau machte mit ihrem 1-2jährigen Kind einen Abendspaziergang und der Kleine „untersuchte“ mein Fahrrad. Anschließend schaute ich noch einer Familie beim Kubb-Spielen zu.
Beim Frühstück am nächsten Tag (2.8.) bekam ich meinen Wäschesack mit feuchter Wäsche - so feucht, als käme sie fast direkt aus der Waschmaschine. Ich war stinksauer, doch ließ mir nichts anmerken. Ich breitete die Wäsche zum Trocknen auf meinem Bett aus.
Im Frühstücksraum hing eine Karte von Gotland, die mir jeden Morgen vor Augen hielt, was es alles für attraktive Besichtigungsziele auf der Insel gibt. An diesem Tag war es nicht ganz so heiß, so dass ich noch einmal einen Anlauf machte, eine längere Strecke zu fahren. Als Ziel wählte ich mir die ca. 20 Kilometer südöstlich von Visby gelegene Klosterruine bei dem Ort Roma aus. Das erste Stück des Weges war zwar relativ stark befahren und daher nicht ganz so angenehm zu radeln, aber dann ging es. Die gesamte Strecke war topfeben, wie ich es in Schweden noch nirgendwo anders erlebt hatte. Kein Wunder, dass Gotland als Paradies für RadfahrerInnen gilt.
In den teilweise wieder rekonstruierten Gebäuden der Klosteranlage werden verschiedene Ausstellungen gezeigt: Eine Apotheke aus dem Mittelalter ist nachgebaut, eine Ausstellung informiert über die Zeit, in der das Kloster „in Betrieb“ war und über das harte und karge Leben der Mönche (in Folge dessen ihr Durchschnittsalter gerade mal bei 29 Jahren lag). Daneben finden sich kleine Ausstellungen lebender Künstler.
Nach einer längeren Ruhepause machte ich mich auf den Rückweg. Ich wählte eine etwas längere Route, die aber - wie sich herausstellte - weitaus weniger befahren war, als die Straße, die ich beim Hinweg benutzt hatte. Auch diese Strecke war ohne die geringsten Steigungen, also ideal zum Fahrradfahren.
Ich hatte mir vorgenommen, an der Stadtführung teilzunehmen, die um 16.00 Uhr vom Touristenbüro in deutscher Sprache angeboten wurde, und beeilte mich deshalb etwas, zurück nach Visby zu kommen. Als ich mich in einem Wohnviertel der Stadt verfuhr, geriet ich etwas in Panik. Fast genau um 16.00 Uhr beim Touristenbüro angekommen, erfuhr ich auf Nachfrage, dass während der Tour auch Treppen zu überwinden sind; somit konnte ich mit meinem Fahrrad nicht teilnehmen.
Irgendwie war mir überhaupt nicht klar, dass es in Visby eine Handelshochschule gibt; jetzt sah ich in unmittelbarer Nähe des Hafens den Hinweis auf deren Bibliothek. Und in Bibliotheken gibt es Tageszeitungen und Internet-Arbeitsplätze. Nachdem ich die Dagens Nyheter überflogen hatte, reizte es mich doch, nach meinen Mails zu schauen, obwohl ich mir eigentlich vorgenommen hatte, während der Zeit in Schweden mal „ohne“ (Internet) auszukommen. Bei dieser Gelegenheit habe ich dann einigen von Euch eine „Urlaubsmail“ anstelle einer Ansichtskarte geschickt.
Schon am Tag zuvor hatte ich in der Nähe des Söderport (südliches Stadttor) ein chinesisches Restaurant entdeckt. An diesem Tag wollte ich mir etwas gönnen und überwand meine Scheu, alleine in ein Lokal zu gehen. (Im Urlaub kostet es mich immer viele Nerven zu entscheiden, wo ich essen gehe. Meistens wähle ich Schnellrestaurants, in denen es unverbindlicher zugeht und es nicht so ungewöhnlich ist, alleine zu essen.) Ich bestellte ein Gericht und bekam es ungewöhnlich schnell. Das Besteck fehlte. Als ich es nachforderte, wollte die betreffende Angestellte schon verstehen, dass ich zahlen wolle. Das Essen (gemischtes Gemüse) schmeckte dermaßen schlecht, selbst der dazugehörige Reis war dermaßen klumpig, wie ich es selten zuvor erlebt hatte. Während ich aß, hörte ich, wie sich andere Gäste verabschiedeten und sich für das leckere Essen bedankten ... - Nachdem ich endlich bezahalt hatte (dafür wurde ich übrigens ziemlich lange warten gelassen) und wieder aus dem Restaurant draußen war, fühlte ich mich relativ schlecht: Da hatte ich mich überwunden und erlebte gleich einen solchen Reinfall. War hier Behindertenfeindlichkeit mit im Spiel oder wie soll ich das Erlebte sonst deuten?
Der Samstag, 3. August, war mein letzter Tag auf Gotland. Um 13.00 Uhr hatte ich die Fähre zurück nach Nynäshamn gebucht.
Die Angestellte der Jugendherberge, die mir sonst immer beim Zusammenstellen des Frühstücks geholfen hatte, war an diesem Morgen nicht da, so dass ich einen Mann an der Rezeption ansprach, ob er mir helfen könne. Er holte einen Zettel hervor, auf dem ihm anscheinend seine Kollegin aufgeschrieben hatte, was ich an den Tagen zuvor gefrühstückt hatte. Ich reagierte zwar mit einem Lächeln und sagte, genau, das wolle ich heute auch, aber eigentlich war ich ziemlich verärgert und fühlte mich wie ein kleines Kind behandelt, das nicht selber sagen kann, was es will. Vielleicht hätte ich ja an diesem Tag etwas anderes gewollt? (Es wurde zwar fast nichts anderes angeboten, aber es geht ja ums Prinzip ...!)
Wieder war das Wetter ziemlich heiß und auch noch bei der letzten Fahrt durch die Altstadt von Visby entdeckte ich interessante Häuser, an denen ich noch nicht (bewusst) vorbei gefahren war.
Viel zu früh war ich am Hafen, so dass ich das Ent- und Beladen der gerade angekommenen Fähre beobachten konnte. Ganz abgesehen davon, dass ja fast alles, was auf der Insel verkauft bzw. konsumiert wird, irgendwie vom Festland aus nach Gotland gelangen muss, wird allein zur Versorgung der Passagiere während der etwa fünfstündigen Fahrt einiges an Lebensmitteln und sonstigen Verbrauchsgütern benötigt. Wenn ich richtig kombiniert hatte, ist dies alles in einem Container verstaut, der an der Seite des Schiffes durch eine separate Luke heruntergelassen, ausgewechselt und wieder hochgezogen wird.
Auch dieses Mal zog sich die fünfstündige Überfahrt ziemlich lange hin. Zuerst war ich an Deck, wo es herrlich warm war, dann entschied ich mich, doch etwas zu essen zu bestellen. Eigentlich hatte ich vor, in Nynäshamn wieder so eine leckere Pizza Indiana mit Banane, Curry und Schinken zu essen, doch eigentlich hatte ich jetzt schon Hunger; der Gemüsereis („Vegetarisk American Böngulasch“ [vegetarischer amerikanischer Bohnengulasch] - ein Widerspruch in sich), den ich mir daraufhin bestellte, war aber auch sehr lecker und sicher vitaminreicher als eine Pizza. Abgesehen davon hatte ich jetzt Zeit genug und konnte in aller Ruhe essen - ohne (wie in einem Restaurant) das Gefühl zu haben, mich beeilen zu müssen. Als ich gegessen hatte, war immer noch genügend Zeit, um etwas Fernsehen zu sehen und anschließend noch einmal an Deck zu gehen.
In Nynäshamn wusste ich ja schon, wo ich hin muss. Es war dieses Mal eine andere Frau an der Rezeption, die mich zuerst abwimmeln wollte, weil die Jugendherberge ausgebucht war. Ich konnte ihr aber klar machen, dass ich einen Übernachtungsplatz reserviert hatte - und zwar im sogenannten Gästeheim, was einige hundert Meter von der Jugendherberge entfernt lag. Bei der Buchung von Deutschland aus war ich vorgewarnt worden, dass die Übernachtung dort ca. 10 Euro teurer sei als in der Jugendherberge. Deshalb war ich im ersten Moment sehr positiv überrascht, als ich lediglich den Preis zahlen musste, den auch ein Platz in der Jugendherberge gekostet hätte. Als ich dann aber ins Gästeheim kam und mein Zimmer aufschloss, fand ich es ziemlich dreist, dass die Übernachtung dort eigentlich mehr kostet: Die Ausstattung des Raumes unterschied sich in nichts von einem Zimmer in der Jugendherberge!
Seit einigen Tagen spielte ich mit dem Gedanken, meine erste „richtige“ Etappe mit dem Fahrrad „umzuwandeln“: statt ca. 40 Kilometer Landstraße zu radeln, hatte ich mir bereits in Visby überlegt, von Nynäshamn mit dem Boot auf eine Schäre zu fahren, quer über diese und eine andere mit einer Brücke verbundene Schäre zu radeln und dann wiederum mit dem Schiff nach Dalarö überzusetzen - dort hatte ich für die darauf folgende Nacht in der Jugendherberge gebucht. Nur: Mir war nicht ganz klar, ob ich von der Anlegestelle des Bootes aus Nynäshamn wirklich sozusagen „trockenen Fußes“ dahin gelange, von wo aus das Schiff nach Dalarö ablegt. Und außerdem fuhr nur ein einziges Schiff diese Route. - Ich radelte gegen 19.00 Uhr zum Hafen, um die Fragen zu klären, aber natürlich hatte die Touristeninformation schon geschlossen. Ich fand eine offene Tür, die sich als Eingang der Rezeption einer privaten Jugendherberge entpuppte. Ich fragte, wo ich mich über die Skärgårdsboote (Passagierschiffe, welche regelmäßig die einzelnen Inseln bzw. Schären im Stockholmer Schärengarten anfahren und diese untereinander und mit dem Festland verbinden) erkundigen konnte. Da es ein Missverständnis gab (der Mann erklärte mir den Weg zur Ablegestelle, ich fand dort „natürlich“ kein Büro oder jemanden, den ich hätte fragen können), tauchte ich nach einer kleinen Runde durch das Hafengelände noch einmal bei ihm auf. Der Angestellte nahm sich Zeit für mich und ging mit mir dorthin, wo die Boote ablegen. Mit den Fahrplänen kannte er sich logischerweise nicht aus, aber er konnte mir bestätigen, dass mein Vorhaben so durchführbar ist, wie ich es geplant hatte; ich könne ja zur Sicherheit vor Abfahrt noch einmal die Angestellten auf dem Boot fragen.
Aus irgendeinem Grund steigerte ich mich in die Horrorvorstellung, ich könnte auf einer „einsamen Insel“ eine Nacht lang festsitzen, dermaßen hinein, so dass ich die darauffolgende Nacht kaum ein Auge zugemacht bzw. extrem schlecht geschlafen habe.
Bei der ersten Übernachtung in Nynäshamn war es mir wegen der frühen Abfahrt der Fähre nach egal, dass in der Jugendheberge kein Frühstück angeboten wurde, aber an diesem Morgen war es schon bitter, zumal es in Schweden leider keine Bäckereien in der Art gibt, wie ich es aus Deutschland gewohnt bin. Um zumindest etwas im Bauch zu haben, hatte ich mir am Abend zuvor ein Paj-Stück [paj = Pastete] und eine Packung Orangensaft gekauft, aber das Wahre war es nicht.
Um 9.30 Uhr war ich bei der Ablegestelle des Skärgårds-Boots, um 10.00 Uhr sollte es ablegen. Das Personal kam aber erst fünf Minuten vor Abfahrt, so dass keine Zeit mehr war, den Angestellten mein Problem klarzumachen bzw. meine Frage zu stellen. Ich wollte es darauf ankommen lassen, zumal das Schiff an diesen herrlichen Sonntagvormittag recht voll wurde. Und wenn so viele Leute auf dieser Linie fahren, muss es auch notfalls ein Zurück geben.
Die Bootsfahrt durch den südlichen Teil des Stockholmer Schärengarten zur Insel Ålö war traumhaft schön. Wie ich es erwartet hatte, war die Anlegestelle mitten in der Pampa am Ende einer Schotterstraße gelegen. Aber ich hatte ja genügend Zeit und so fuhr ich ganz langsam und gemütlich auf diesem Weg über die nicht gerade ebene Schäre. Nach etwas längerer Zeit als ich geschätzt hatte, kam ich zur Brücke nach Utö. Die Qualität der Straße, die jetzt auch etwas breiter wurde, war auf dieser Schäre etwas besser, aber immer noch war es mit meinem Dreirad schwieriger zu fahren, als auf einer Teerstraße. Etwas unheimlich wurde es mir, als ich durch ein militärisches Sperrgebiet kam; auf beiden Seiten der Straße warnen Schilder vor Schusswaffengebrauch. Erst nach ein paar weiteren Kilometern fand ich Spuren der „Zivilisation“ und die Dichte der Bebauung wurde etwas größer - für Schweden heißt das: nicht alle 2 Kilometer ein Haus, sondern vielleicht alle 300 Meter. Ich kam zu einer Schiffsanlegestelle, an der es gerade mal ein Kiosk und eine Telefonzelle gab. Von hier aus hätte ich auch wegfahren können, aber ich hatte Zeit genug und wollte bis zu einer anderen „Brücke“ (=„Haltestelle“ der Skärgårdsboote) radeln, an der ich sonst sowieso hätte „umsteigen“ müssen.
Während meiner Weiterfahrt sah ich kaum Autos, aber statt dessen unzählig viele Mofas mit vorne zwei Rädern und einer großen „Ladefläche“ dazwischen - entweder für den Transport von Lasten oder zur Mitnahme von ein bis zwei Personen.
Die „Gruvsbryggan“, von wo ich nach Dalarö fahren wollte, war überraschenderweise ein touristisches Zentrum mit einem Lebensmittelgeschäft, einer Gaststätte und mehreren kleineren Läden (besser gesagt: Buden). In unmittelbarer Nähe war auch eine Jugendherberge. Ich legte mich auf die Wiese und genoss die Sonne bis zur Abfahrt des Schiffes. Es bestätigte sich wieder mal meine persönliche „Lebensweisheit“: Das, wovor ich am meisten Angst oder Horror habe, wird am schönsten.
Auch die Schiffsfahrt nach Dalarö war sehr angenehm. Nicht so angenehm war nur, dass ein Mann des Schiffspersonals mir irgendetwas zeigen wollte und ich verstand nicht, was er meinte. Dann zu sagen, dass ich Tourist aus Deutschland bin und nicht so gut schwedisch verstehe - dafür bin ich zu stolz. Das Schiff fuhr über Tyresö, wo ich in der darauffolgenden Nacht gebucht hatte, weiter nach Stockholm, so dass ich dachte, die Reservierung in Dalarö hätte ich mir eigentlich sparen können ...
In Dalarö irrte ich erst einmal etwas umher und suchte jemanden, der mir Auskunft geben konnte und wollte, wo die Jugendherberge ist. Es stellte sich heraus, dass sie unmittelbar am Hafen liegt und ich daran vorbeigefahren war, weil das entsprechende Hinweisschild nämlich nur zu sehen ist, wenn mensch aus der anderen Richtung, d. h. von der Ortsmitte her, kommt. Die Jugendherberge dort ist richtig süß: Ein quadratischer einstöckiger Holzbau mit einer Grundfläche von etwa 40 Quadratmetern. Sie hat nur 8 Betten, aber trotzdem eine voll ausgestattete Gästeküche.
In der Pizzeria am Ort aß ich (m)eine geliebte Bananen-Pizza „Indiana“ und war rechtzeitig fertig, um am Abend in ein schönes Jazz-Konzert zu gehen, dass in der Kirche von Dalarö stattfand.
In der kleinen Jugendherberge (ich glaube, ich war der einzige Gast) wurde leider wieder kein Frühstück angeboten - der zweite Tag ohne meine geliebte filmjölk. Zum Glück war am Hafen ein Café/Imbiss, wo ich mir ein belegtes Brötchen, Gebäckteilchen und Milch kaufen konnte, um dann auf einer Bank in der herrlichen Sonne zu frühstücken.
Dann fuhr ich los Richtung Tyresö. Der erste Teil der Strecke führte durch den Wald und war sehr angenehm zu fahren. Am frühen Nachmittag kam ich in Tyresö Centrum bei einem großen Einkaufszentrum an und dachte, die Jugendherberge könne jetzt nicht mehr weit sein. Doch ich musste feststellen, dass die Kommune Tyresö zwar nicht sehr breit ist, aber eine sehr große West-Ost-Ausdehnung hat. Ich nahm die Straße nach Brevik, die einen verlockend schönen Fahrradweg abseits der Straße hat. Aber als ich einige hundert Meter auf dem Fahrradweg gefahren war, merkte ich, dass dieser von der Straße weg in die Pampa führt. Also radelte ich eine Weile neben den Autos, bis ich der Verlockung des Fahrradweges wieder nicht widerstehen konnte. Aber erneut landete ich irgendwo - nur nicht da, wo ich hin wollte.
Endlich sah ich den Hinweis zur Jugendherberge. Hundert Meter weiter kam ich an ein weiteres Schild, dass ich falsch interpretierte und durch einen Torbogen in ein sehr hügeliges und waldreiches Erholungsgebiet fuhr. Als ich mich unzählige Hügel hoch gequält hatte, vermutete ich stark, dass ich mich verfahren hatte. Ich merkte, dass mein Körper bei der Hitze völlig ausgetrocknet war, und trank erst einmal meine Wasserflasche aus, was mir gleich neue Energie gab. Ich drehte um bis zum Torbogen und sah wenige hundert Meter weiter rechts die Jugendherberge „Lilla Tyresö“ (Klein Tyresö), einen aus drei oder vier Gebäuden bestehenden Herrschaftssitz.
Bei der Anmeldung, als der Betreuer der Jugendherberge mir viel zu viel Geld abknöpfen wollte, weil ich sozusagen Einzelzimmerzuschlag zahlen sollte, erinnerte ich mich daran, dass ich bei der Reservierung dieser Unterkunft die größten Schwierigkeiten hatte: So wurde mir auf meine erste Anfrage hin ein Preis genannt, der fast dreimal so hoch war, wie die entsprechende Angabe im Jugendherbergsverzeichnis. Ungefähr fünf E-Mails waren nötig, um endlich ein Bett zu dem im Führer angegebenen Preis zu reservieren.
Das Zimmer, das ich bekam, war mit Jugendstilmöbeln edel eingerichtet und durchaus einen höheren Preis wert gewesen, doch was kann ich dafür, wenn diese edlen Räume als Jugendherberge fungieren?
An diesem Abend war ich extrem müde, aber ich musste ja (gerade an diesem Tag) noch etwas Vernünftiges essen. So hatte ich keine andere Wahl, als noch einmal zurück in Richtung Tyresö Centrum zu fahren, was aber ohne Gepäck schneller und einfacher ging, zumal ich nach einer relativ kurzen Strecke an der Straße etwas versteckt eine Pizzeria fand, auf die ich zuvor nicht geachtet hatte. Dort gab es auch einen leckeren griechischen Salat, den ich bestellte, um meinen Vitaminhaushalt mal wieder richtig aufzufüllen.
Am nächsten Tag wollte ich eigentlich über ganz viele Inseln nach Vaxholm fahren. Die komplette Strecke führte durch ein Gebiet, das auf meiner Fahrradkarte als städtisch (=rot) eingezeichnet. Ich hatte aber bei der Fahrt nach Tyresö gemerkt, dass „städtisches Gebiet“ in Schweden bei Weitem nicht das ist, was ich mir darunter vorgestellt hatte (nämlich geschlossene Wohnbebauung), sondern durchaus auch Überlandstraßen durch Waldgebiete mit einschließt. So entschloss ich mich, nicht nach Vaxholm zu fahren, sondern den viel näheren Weg nach Stockholm zu wählen und von dort aus ein Skärgårdsboot nach Vaxholm zu nehmen.
Bei der Fahrt durch die Kommune Tyresö habe ich mich erneut über die beschissene Radwegeführung und -ausschilderung geärgert, die sich schlagartig sehr positiv veränderte, als ich in die Kommune Nacka kam. Schneller als ich gehofft hatte, erreichte ich das Stockholmer Stadtgebiet und kam witzigerweise genau an der Stelle raus, an der ich vor gut einer Woche mein Vorhaben aufgegeben hatte, nach Nynäshamn zu radeln. Von dort aus war mir daher die Strecke bekannt.
Ich bekam Hunger und bestellte ein chinesisches Nudelgericht an einem Straßenimbiss am südlichen Ende von Humleparken. Eigentlich wollte ich mich an einen Tisch setzen, aber die Verkäuferin missverstand mich und packte mir das Essen ein. So suchte ich mir eine Bank am Linné-Denkmal in der Mitte vom Park. Das Essen ohne Tisch war etwas anstrengend, aber es ging so einigermaßen. Als ich weiterfahren wollte, entdeckte ich einige Meter weiter auf der Wiese eine Bank-Tisch-Kombination aus Holz ...
Nach einer kleinen Rundfahrt durch die Innenstadt nahm ich ein Boot nach Vaxholm. Es war mal was anderes, Stockholm vom Wasser aus zu sehen. Die interessante Fahrt durch den dichten Schärengarten mit vielen bewohnten und unbewohnten Inseln dauerte länger, als ich gedacht hatte: eine gute Stunde.
Ich war begeistert vom Flair des kleinen Ortes Vaxholm, der wegen des Schlosses berühmt ist. Mein Bruder, der im Frühsommer mit seiner Freundin in der dortigen Jugendherberge war, hatte mir gesagt, diese sei nicht direkt in Vaxholm, sondern auf Bogesundslandet, einer angrenzenden Schäreninsel. Als ich die niedliche kleine Holzbrücke überquert hatte, welche die beiden Schären verbindet, fuhr ich und fuhr ich. Hinter jeder der zahlreichen Kurven erhoffte ich die Jugendherberge. Wie in Tyresö dachte ich schon, ich hätte einen Hinweis übersehen und mich verfahren. Doch kurz bevor ich umkehren wollte, tauchte mitten in der Pampa das Hinweisschild zur Jugendherberge auf. Aber ich sah nur einen Reiterhof. Zum Glück fand ich dort Frauen, die mich auf den Schotterweg zur äußerst idyllisch gelegenen Jugendherberge aufmerksam machten.
Es folgte das gleiche „Spiel“ wie am Tag zuvor: Einerseits war ich müde, andererseits musste ich dringend noch etwas essen. Aber auch dieses Mal war die Fahrt zurück nach Vaxholm zu einem Supermarkt ohne das Gepäck weit weniger anstrengend, als ich befürchtet hatte. Trotzdem hat es die kurvenreiche Strecke in sich: Die Straßen in Schweden sind wie Rennbahnen gebaut, d. h. in Kurven nach innen geneigt. Mit meinem Dreirad muss ich deshalb insbesondere bei einer Rechtskurve aufpassen, dass mein Rad nicht nach rechts seitlich umkippt. Im Allgemeinen ist dies nicht so dramatisch, aber auf der Strecke von Vaxholm zur Jugendherberge war eine derart stark geneigte Rechtskurve, dass ich über die Fahrbahn an den äußersten linken Straßenrand fahren musste, um nicht umzukippen. Dazu kommt noch, dass die Straße über Bogesundslandet in den Abendstunden quasi als Rennstrecke für Motoradfahrer genutzt wird - die Fahrradfahrt nach und von Vaxholm war also durchaus nicht ungefährlich!
Ich kam ohne Unfall wieder in der Jugendherberge an und genoss es, das Gekaufte in der warmen Abendsonne auf der Wiese bei dem Gebäude zu verzehren.
Am nächsten Tag, den 7. August, legte ich einen Ruhetag ein und verbrachte trotz des herrlich warmen Sommerwetters viel Zeit schlafend im Bett. Erst am späten Nachmittag rappelte ich mich auf und schaute mir den Ort Vaxholm an, der viel kleiner ist, als ich dachte. Wie am Tag zuvor hatte ich keine Lust, irgendwo einzukehren und kaufte mir wieder ein Paj-Stück und andere leckere Sachen im Supermarkt, die ich dann im Grünen aß.
Am Abend schaltete ich den Fernseher im Aufenthaltsraum der Jugendherberge ein und sah bei der Live-Übertragung der Leichtathletik-Weltmeisterschaft aus München, wie es dort in Strömen regnete.
Ich hatte in meinem Kopf gespeichert, dass ständig Skärgårds-Boote von Vaxholm zurück zu Strömkajen in der Stockholmer Innenstadt fahren, so dass ich nicht in den Fahrplan schaute, sondern von der Jugendherberge losradelte, als ich in aller Ruhe gepackt, gefrühstückt und das Zimmer etwas aufgeräumt hatte. Unglücklicherweise kam ich gerade dann bei der Anlegestelle in Vaxholm an, als gerade ein Schiff weggefahren war; das nächste fuhr erst in mehr als einer Stunde. Die Wartezeit war ziemlich unangenehm, da die Sonne wieder sehr intensiv schien und ich im gesamten Hafenbereich keinen angenehm schattigen Platz fand, an dem ich mich hinsetzen konnte. Auch während der Überfahrt „flüchtete“ ich vor der starken Sonneneinstrahlung ins Innere des Schiffes.
Die letzten beiden Übernachtungen hatte ich mangels Alternativen in „Backpackers Inn“ gebucht. Schon vor mehreren Jahren hatte ich dort übernachtet und etwas Horror davor: ein riesengroßes Gebäude einer Stockholmer Schule dient in den Sommerferien als Jugendherberge; mit über 300 Betten ist dies die größte in Schweden. Bis zu 14 Personen sind in einem Unterrichtsraum untergebracht. Das einzig Angenehme: Die Jugendherberge hat rund um die Uhr geöffnet. Daher konnte ich gleich dorthin fahren und mein Gepäck abladen, ohne bis zum späten Nachmittag warten zu müssen. (Die Jugendherbergen öffnen in den meisten Fällen erst um 17.00 Uhr.)
Während der ganzen Reise hatte ich etwas Horror vor den weiten Wegen bzw. der langen Gänge im Schulgebäude, denn vor drei oder vier Jahren musste ich ziemlich weit zu dem Schlafsaal laufen, in dem mir ein Bett zugewiesen wurde. Diesmal hatte ich jedoch Glück: Der Weg zu meinem Bett war relativ kurz.
Nachdem ich mich eine Weile ausgeruht hatte, machte ich mich wieder auf den Weg und radelte auf Kungsholmen, eine der vierzehn Inseln des Stockholmer Stadtgebiets, auf der ich bisher noch nie war. Ich fand einen Supermarkt mit einer ungewöhnlich großen Auswahl an Paj-Stücken, deckte mich mit Lebensmitteln für den Abend ein und fuhr an das nördliche Ufer des Mälaren (genauer gesagt handelt es sich ja um den etwa 20 Meter breiten Zufluss zum Mälar-See), das ich bisher immer nur von Langholmen aus gesehen hatte. Dieser Bereich ist parkähnlich gestaltet, an mehreren Stellen kann mensch sich auf Bänke direkt am Wasser setzen, die sich teilweise auf schwimmenden Pontons befinden. Ich setzte mich auf eine der Bänke, aß quasi zu abend und genoss die Atmosphäre und den Geruch des Salzwassers. Anschließend fuhr ich die Uferpromenade wieder zurück Richtung Innenstadt an interessanten Wohnbooten vorbei, die dort eines hinter dem anderen vor Anker lagen.
Am Ende der Uferpromenade liegt das Stadthaus - eines der Wahrzeichen von Stockholm, das ich jetzt zum ersten Mal von Nahem sah.
Als ich nach einer kleinen (teilweise nicht ganz freiwilligen) Stadtrundfahrt wieder bei der Jugendherberge angekommen war, setzte ich mich noch eine Weile auf den Schulhof, ging aber dann wieder früh ins Bett. Entgegen meiner Befürchtungen waren die anderen, die in meinem Raum übernachteten sehr rücksichtsvoll, d. h. sie ließen das Licht im Zimmer aus. Ich glaube, ich bekam überhaupt nicht mit, wann sie kamen.
Der Freitag (9. August) war der letzte „ganze“ Tag in Stockholm. Und wie die vorigen Tage auch war herrlichstes Sommerwetter.
Von meinem letzten Aufenthalt in Backpackers Inn wusste ich, dass ich vom Frühstück (es gibt dafür aus Gründen der Arbeitsersparnis nur Einweggeschirr) nicht viel zu erwarten hatte, aber immerhin gab es welches.
Für diesen Tag hatte ich mir vorgenommen, zum königlichen Schloss nach Drottningholm zu radeln. Die Parkanlage ist ziemlich weit außerhalb (ich brauchte etwa eine Stunde), aber ich war dann doch überrascht, dass diese Insel gar nicht mehr zu Stockholm gehört. In diesem Zusammenhang wurde mir bewusst, wie klein die Stadt Stockholm an sich ist; meistens redet mensch von Stockholm und meint eigentlich den Großraum Stockholm, das län (in etwa: Bundesland), das aus mehreren ineinander übergehenden Städten und Kommunen besteht.
Ehrlich gesagt war ich von der Schlossanlage in Drottningholm etwas enttäuscht: Hatte ich ein blühendes Blumenmeer erwartet, so sah ich „nur“ Buchsbaumsträucher und -hecken, die zum Teil ganz frisch gepflanzt waren. Aber das Schlossgebäude an sich ist schon sehr imposant und schön. Im Gegensatz zu meinem Besuch von vor einigen Jahren, als ich mit dem Rollator in Drottningholm war und auf den Kieswegen nicht weit kam, genoss ich es, jetzt mit dem Fahrrad ohne große Mühe in dem weiträumigen Gelände herumfahren zu können.
Es wäre schön gewesen, wenn ich mit dem Schiff zurück in die Stockholmer Innenstadt hätte zurückfahren können, doch 45 Minuten wollte ich nicht warten, um dann vielleicht zu erfahren, dass mein Dreirad nicht mitgenommen werden kann; in 45 Minuten war ich schon fast mit dem Fahrrad wieder in der Stadt.
Als ich wieder im Zentrum der schwedischen Hauptstadt angekommen war, begann mein „Programm“ der Dinge, die ich immer am letzten Tag in Stockholm mache: Ich ging in den Buchladen in Sverige Huset (=Schwedenhaus), in dem es speziell für TouristInnen Bücher, Filme und Kalender über Schweden gibt, aber auch Lehrbücher, um die schwedische Sprache zu erlernen. Ich kaufte einen Architekturführer von Stockholm, obwohl er nicht ganz billig war, und einige Bildkalender für das kommende Jahr. Da ich mir nicht sicher war, ob der bestimmte Kalender, den ich haben wollte, in der verschlossenen Kartonhülle war, sprach ich eine Frau an der Kasse an, ob sie mir den Karton öffnen könne. Wie ich es leider in Deutschland oft erlebe, aber in Schweden nie erwartet hätte, sagte die Frau, dass sie mich nicht versteht - noch bevor ich meine Frage bzw. Bitte fertig ausgesprochen hatte. Ganz offensichtlich versteifte sie sich so in ihrem Vorurteil, dass sie mich nicht versteht, dass es nicht half, meine Bitte zu wiederholen bzw. anders zu formulieren. Dies machte mich natürlich total wütend. Entnervt ließ sie mich einfach stehen und rannte weg. Wie es nicht anders zu erwarten war, klappte die Verständigung mit ihrer Kollegin, die kurze Zeit später kam, relativ problemlos.
Mich hat diese Situation ziemlich fertig gemacht. Ich muss gestehen, dass dieser Vorfall mein Bild, das ich von Schweden habe, empfindlich angekratzt hat.
Über die Jahre hat es sich herauskristallisiert, dass ich bestimmte Lebensmittel aus Schweden exportiere. So kaufte ich gesalzene Butter, Kaviarpaste, bestimmte Kekse sowie Ziegenkäse und fuhr dann zur Jugendherberge, um meine ganzen Einkäufe abzuladen.
Wie am Tag zuvor kaufte ich mir mein Abendessen in einem Supermarkt am Kungsholmstorg und setzte mich auf ein Ponton am nördlichen Ufer des Mälaren. Da ich mein Fahrrad auf das schwimmende Teil mitnehmen konnte bzw. wollte, stand es relativ auffällig auf dem Fußgängerweg, von dem aus ein schmaler Steg auf die Plattform führte. Ich saß gedankenversunken im Abendlicht, als ich plötzlich Besuch bekam - nämlich von Bert, dem Busfahrer von NAToURs-Reisen, mit dem ich vor zwei Wochen nach Schweden gekommen war. Irgendwie fiel mir ein kleiner Stein vom Herzen, als ich ihn sah. Ich hatte mir nämlich etwas Gedanken darüber gemacht, ob der Bus, mit dem ich zurück nach Deutschland fahren wollte, an der gleichen Stelle stehen wird, an der wir angekommen waren, und ob das mit dem Transport meines Fahrrades genauso gut klappen würde, wie bei der Hinfahrt. Diese Gedanken bzw. Befürchtungen wurden jetzt auf einen Schlag alle hinfällig.
Wir plauderten lange, beobachteten die Dämmerung und genossen die Atmosphäre. Erst als es fast dunkel war, brachen wir auf, und Bert begleitete mich noch bis zur Brücke, auf der er den Mälaren Richtung Södermalm bzw. Långholmen überquerte. Während der Fahrt an der Uferpromenade sah ich die Lichter der Stadt, die sich im Wasser reflektierten - ein unvergessliches Bild. Irgendwie war ich bei Dunkelheit immer bereits in der Jugendherberge, so dass ich diese Reflektionen noch nie (außer in Heidelberg am Neckarufer) gesehen hatte.
Ich war heilfroh, als ich es geschafft hatte, mein ganzes Gepäck auf das Fahrrad zu laden. (An diesem Tag hatte ich sogar jemanden von der Rezeption gebeten, mir meine Sachen hoch- bzw. herunterzutragen - sonst hatte ich es irgendwie immer alleine geschafft.)
Und noch einmal fuhr ich an das Ufer auf Kungsholmen. Mir fiel auf, wie sonnenhungrig die Schweden sind. Wenn es schon nur ein paar Wochen im Jahr richtig warm ist, dann werden diese Tage auch intensiv ausgenutzt. Dazu kam noch, dass an diesem Tag das letzte Wochenende der Schulferien begonnen hatte: Selbst auf dem schmalen Grünstreifen zwischen Uferweg und Straße sonnten sich Menschen. Und dann erst auf Langholmen: Auf der Wiese am Badestrand lagen die Sonnenhungrigen dicht an dicht.
Es war interessant, das Treiben zu beobachten und in der Sonne zu dösen. Trotzdem folgte ich den Busfahrern schnell, als sie bereits eine Stunde vor der geplanten Abfahrt zum Fahrzeug gingen und es öffneten.
In der Sonne war es unerträglich heiß, im Bus auch. Deshalb setzte ich mich auf die Kante des Laderaumes auf der sonnenabgewandten Seite - dort war es angenehm kühl und auszuhalten. Nach und nach kamen die Leute, unter anderem eine vierköpfige Familie mit einer abenteuerlichen Fahrradkonstruktion: ein tandemähnliches Gefährt, das noch einen Anhänger zog. Sie hatten unglaublich viel Gepäck auf ihren Rädern untergebracht und füllten damit fast eine halbe der vier Ladeklappen des Busses.
Die Fahrt zurück nach Deutschland empfand ich als anstrengender als die Hinfahrt. Schon ab Stockholm war der Bus relativ voll und es sollten in Norrköping und Växjö noch zwei Reisegruppen dazukommen.
An einer Raststätte am Vättern (es war eine andere, als bei der Hinfahrt) mit einem herrlichen Blick über den See machten wir Rast - viele wollten ihr letztes schwedisches Geld ausgeben. (Das ist eine Sache, die ich nie verstehen werde: Leute, die genau wissen, dass sie nächstes Jahr wieder nach Schweden reisen, geben ihre letzten Kronen aus und müssen vor dem nächsten Urlaub zu einem viel schlechteren Wechselkurs als in Schweden wieder Geld tauschen; ich hingegen hebe oft in den letzten Tagen meiner Reise sogar noch einmal Geld ab, damit ich zu Beginn des nächsten Urlaubs keinen Stress damit habe, eine Möglichkeit finden zu müssen, um an Bares bzw. an Münzgeld zu kommen.)
Gegen 22.00 Uhr kamen wir nach Växjö. Der andere Busfahrer sollte Bert den Weg zur Jugendherberge weisen. Ich bekam mit, dass Bert etwas sauer war, dass sein Kollege ihm an den entscheidenden Abzweigungen nicht schnell genug die richtigen Kommandos geben konnte. (Das ist meiner Meinung nach das A und O für einen guten Beifahrer und erst recht für einen Busfahrer.)
An der Jugendherberge - es war um diese Zeit schon stockdunkel - hatten wir ungewöhnlich lange Aufenthalt. Ich hörte Gerüchte, dass der Bus überbucht worden sei und dass nicht alle Fahrräder in den Anhänger passen. Die Leute, die in den Bus kamen, waren dementsprechend genervt und machten teilweise andere Reisende an - aus Angst, sie könnten ihren gebuchten Liegeplatz nicht bekommen.
Irgendwie ging es dann doch vorwärts. Bert baute noch ein paar Sitze zu Liegeplätzen um, die schließlich „natürlich“ für alle reichten. Wegen meiner Behinderung teilte mir Bert stillschweigend zwei Liegen zu, obwohl ich eigentlich nur eine bezahlt hatte. Das war mir zwar peinlich, aber selbstverständlich war es sehr angenehm, statt etwa 60 cm das Doppelte an Platz zu haben.
Wie auf der Hinfahrt mussten wir auf der Fähre von Rødby nach Putgarden aussteigen, was aber gut tat, sich mal wieder bewegen zu können. Die Fahrt nach Osnabrück mit Zwischenhalten in Hamburg und Bremen, wo jeweils Leute ausstiegen, zog sich wie ein Kaugummi.
In Osnabrück hatte ich großes Glück: Ich erwischte in letzter Minute noch dank der Hilfe eines Mitarbeiters des Serviceteams den Regionalexpress nach Münster, der glücklicherweise auf Gleis 1 abfährt. So konnte ich ab Münster den Interregio nach Bonn zwei Stunden früher nehmen, als ich es eigentlich geplant hatte.
Martin Seidler, 5. Oktober 2002
(letzte Überarbeitung: 18. Oktober 2002, Fehlerberichtigung: 1. Dezember 2002)