die randschau - Zeitschrift für Behindertenpolitik
Ausgabe 1/2000 - Abschlussausgabe
(Erscheinungsdatum: Ende April 2000)

Titelseite der Abschlussausgabe der randschau


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Abschlusstatement der Redaktion

Über das Scheitern eines autonomen Versuchs
Warum die Randschau am Ende ist und was wir daraus lernen können...
 

Entstanden aus der "Luftpumpe" und der "Krüppelzeitung" - die einzige autonome Zeitschrift für Behindertenpolitik Deutschlands, die Randschau, ist schon viele Male in ihrer Geschichte für tot erklärt worden und hat sich trotz der seit Beginn anhaltenden denkbar schlechten Bedingungen immer wieder berappelt: vor allem durch neue MitarbeiterInnen oder den Neuanfang mit einer neuen Redaktion.

Nun sieht die Sache erstmals ganz düster aus: Die Randschau, übernommen vor zwei Jahren von einem neuen Redaktionsteam und so noch einmal vorm finalen Absterben gerettet, steht vor ihrem endgültigem Aus. In dieser letzten Notnummer werden wir versuchen, die Gründe dafür zu erhellen; sowohl aus redaktionsinterner Sicht als auch auf der Ebene der Betrachtung der derzeitigen KrüppelInnenbewegung, als deren Sprachrohr die Randschau für viele gilt.

Im Frühjahr 97 verbreitete die vorherige Redaktion der Randschau einen Notruf: Die Randschau suche ab sofort eine neue Redaktion, anderenfalls müsse sie eingestellt werden. Es meldete sich zunächst eine Vielzahl Interessierter (allerdings auch weit weniger, als die alte Redaktion sich erhofft hatte), von denen sich aber nur ein Teil dazu entschloß, die Randschau zu übernehmen. Neben zwei Mitgliedern aus der alten Redaktion wurde die Zeitung nun von fünf neuen RedakteurInnen erarbeitet, für die das zum größten Teil eine völlig neue Aufgabe war. Vor diesem Hintergrund und aufgrund der Tatsache, daß auch sieben Leute wenig sind für ein bundesweites Zeitschriftenprojekt, das völlig ohne öffentliche und private Unterstützung auskommen will und das von seinen HerausgeberInnen in deren Freizeit erstellt wird, ist es leicht nachzuvollziehen, daß wir schon von Beginn an mit der Zeitung etwas überfordert bzw. überlastet waren.

So tappten wir in viele AnfängerInnenfehler, verwirrten manche der AltabonenntInnen durch einen anderen Stil und waren selber oft unzufrieden mit unseren Ausgaben. Natürlich machten wir einen Lernprozeß durch, der jedoch nicht zu einer einheitlichen Linie bzw. einem "Programm" der Randschau führte, nach dem wir selber uns hätten richten können und an dem die LeserInnen sich hätten orientieren können. Immer wieder von neuem mußten wir unseren Standpunkt ausloten: Sind wir nun ein völlig offenes Forum, bei dem jedeR alles veröffentlichen kann? Oder beschränken wir uns klar auf eine bestimmte Art des Inhalts und der Form? Unsere Entscheidung fiel immer wieder auf "irgendwie dazwischen", so daß wir stets an jedem einzelnen Artikel gemeinsam entschieden, ob er hinein sollte, oder nicht. Schließlich wollten wir ein Kollektiv sein, in dem die Entscheidungen von allen gleichberechtigt gefällt werden und nicht von Einzelpersonen.

Dieser Vorsatz und diese Arbeitsweise machten aber die Entscheidungsprozesse unheimlich langwierig und kräftezehrend. Dies lag vor allem auch an der Tatsache, daß wir alle an sehr weit voneinander entfernt liegenden Orten wohnen, was den Kommunikationsfluß trotz Telefon, Fax und Internet ziemlich erschwert. Und alle anstehenden Themen an unseren Redaktionswochenenden grundsätzlich zu diskutieren, war auch nicht immer möglich. So hangelten wir uns von Nummer zu Nummer, die eigentlich nur etwas wurden, wenn einE VerantwortlicheR sich voll engagierte, hinter AutorInnen hertelefonierte, die Aufgabenverteilung koordinierte und im Notfall auch mal einige der angeforderten Artikel selbst schrieb. Schließlich waren alle durch feste Aufgaben wie z.B. Magazin, Rezensionen oder Aboverwaltung ohnehin ausreichend beschäftigt; ohnehin verschlangen die organisatorischen Aufgaben einen Großteil unserer Arbeitszeit. Sich "voll zu engagieren" hieß aber für einige Wochen und Monate, einen Großteil der Freizeit der Randschau zu verschreiben... .
Ein Teil der Redaktion zog daher schon bald die Konsequenzen aus monatelanger, nichtbezahlter Selbstausbeutung und stieg aus. So bestand der feste Teil der Redaktion schließlich nur noch aus vier Personen.

Dazu kam, daß wir fast alle zu einer "neuen Generation" der "Bewegung" gehören und und private Kontakte zu Leuten weitgehend fehlten, die als mögliche AutorInnen oder IdeengeberInnen hilfreich sein könnten. Außerdem hatten wir wenig direkte Anbindung an Informationsquellen, die uns dabei geholfen hätten, über Dinge zu berichten, die nicht sowieso schon vielen aus der Tageszeitung bekannt sind. Strukturell hatte da die alte Redaktion einen echten "Standortvorteil" im wahrsten Sinne des Wortes dadurch, daß sie ein Redaktionsbüro direkt unter einem Dach mit der ISL (Interessensgemeinschaft Selbstbestimmt Leben Deutschland) hatte.

Natürlich kann man auch zu viert eine Zeitschrift machen; vorausgesetzt, man hat keinen Job oder ein zeitaufwendiges Studium nebenbei und wird für seine Arbeit bezahlt (...und hat am besten keine "zeitaufwendige" Behinderung!). Nichts davon war bei uns Vieren der Fall: Neben 40-Stunden-jobs, Studium oder zeitintensiver Jobsuche ist es schwierig, eine Zeitung so zu machen, daß sie hohen Ansprüchen an Informationsgehalt und kritischer Analyse genügt. Dazu haben wir einer gelungenen Ausgabe oft selber im Weg gestanden, z.B. dadurch, daß unsere Ankündigung für das nächste Heft oft gar nicht bzw. zu unkonkret ausformuliert war, so daß nicht klar genug werden konnte, wie die Artikel genau auszusehen haben. Oder wir haben es oft aufgrund unserer chaotischen Organisation nicht geschafft, AutorInnen frühzeitig anzufragen, so daß viele schöne Artikelideen nicht verwirklicht  werden konnten.

Bei diesen Schwierigkeiten hätte uns vor allem die Rückmeldung und Anregung in eine irgendwie geartete "KrüppelInnenszene" geholfen. Es wäre schön gewesen, wenn diese die Möglichkeiten eines Forums für sich genutzt und hier durchaus notwendige Diskussionen ausgetragen hätte, wenn ihre Mitglieder unaufgefordert Themenvorschläge, Artikel und Stellungnahmen eingesandt oder sich wenigstens an ihre teilweise schon gemachten Artikelzusagen gehalten hätten. Noch schöner wäre es gewesen, wenn mehr Leute bereit gewesen wären, Verantwortung für die Randschau zu übernehmen um konstruktiv in der Redaktion mitzuarbeiten.

Zu all diesem haben wir immer wieder aufgerufen, nur leider ohne Erfolg. Langsam dämmerte uns die Erkenntnis, daß es vielleicht auch gar keineN mehr gibt, der oder die an einer qualitativ hochwertigen Randschau interessiert ist. Wir fragten uns, für wen wir eigentlich schreiben, angesichts der sehr mageren und widersprüchlichen Rückmeldungen, die wir auf unsere Ausgaben bekamen. Wer ist eigentlich "die KrüppelInnenszene", deren Plattform wir sein wollten?
Daß das ein ziemlich bunt gemischter Haufen mit den unterschiedlichsten Interessen sein muß, konnten wir schon bei Beginn unserer Randschau-Arbeit erahnen: Da gibt es die KünstlerInnen, die an der emanzipativen Verarbeitung ihres Erlebens der Gesellschaft interessiert sind, da gibt es diejenigen, die nur eigentlich in ganz anderen politischen Gruppen arbeiten und sich nur manchmal in behindertenpolitischen Zusammenhängen aufhalten, da gibt es KrüppelfrauenLesben, die vor allem an der Überwindung ihres mehrfachen Stigmas arbeiten, da gibt es "Professionelle", die sich nach langem Kämpfen nun etablieren konnten, und vor allem an der Aufrechterhaltung und Erweiterung ihrer Projekte interessiert sind und noch viele andere. Schwer auszumachen, was da das gemeinsame Interesse sein soll, abgesehen von der Tatsache, daß sie alle ein Leben mit Behinderung führen und sich eventuell darüber austauschen wollen.

Die Randschau ist aus den Reihen derjenigen entstanden, die heute zu den "Professionellen" gehören und gilt bei vielen noch als deren Sprachrohr. Es scheint aber, daß sich im Zuge der Etablierung dieser Gruppe auch ihre Anbindung an die Randschau gelöst hat. Verwunderlich ist dies nicht, schließlich stehen sie und die Randschau mittlerweile in einem Interessensgegensatz zueinander: Die Randschau war und ist ein Forum, in dem Kritik an herrschenden Verhältnissen geübt werden soll und in dem unsere Diskriminierung als behinderte Menschen im Zusammenhang mit diesen gesehen wird. Die etablierten Projekte sind jedoch, bei allem alternativen Gestus, den sie noch besitzen, ein anerkannter Teil dieser Verhältnisse geworden: Die Allianz mit der Aktion Sorgenkind zeigt dies ganz deutlich. Und vielleicht ist dies auch genau das, was ein Großteil der KrüppelInnenbewegung immer gewollt hat: Auch ein Stück vom Kuchen abzubekommen.

Scheinbar haben sie das spätestens mit der Erweiterung des Artikels 3 GG bekommen und sich damit zufrieden gegeben - auch wenn dies natürlich noch längst nicht die völlige Absicherung ihrer Rechte und die Freiheit von Diskriminierungen bedeutet. Dieser erste Schritt zur gleichberechtigten Teilnahme am gesellschaftlichen Leben könnte die Lebensumstände behinderter Menschen real verbessern - nur leider wird offensichtlich im gleichem Atemzug die Gesellschaft, in die mensch sich "integrieren" läßt, immer weiter bejaht. Die Voraussetzung für Integration ist eben die Anpassung an die herrschenden (diskriminierenden) Verhältnisse - also in der Konsequenz auch immer deren Festigung. Die Logik "wer integriert wird, wird nicht diskriminiert" geht nicht auf: Die Forderung nach Integration durch gleiche Chancen und Rechte hat die Anerkennung der Gesellschaft zur Voraussetzung, durch deren Funktionsweisen man sich überhaupt erst an derem Rand vorfindet. Folglich können sich "gesellschaftskritische" Menschen in einem Dilemma wiederfinden, wollen sie den durchaus berechtigen und sinnvollen Wunsch realisieren, ihr Leben in der Gesellschaft wenigsten einigermaßen erträglich zu machen und abzusichern. Die kritiklose Stellung zu dieser Gesellschaft ist leider die häufigste Variante, aus diesem Dilemma herauszukommen.

Mehr noch: Integration kann Diskriminierung sogar voraussetzen und zur Bedingung haben - in dem Sinne, daß Menschen mit Behinderungen dabei in "Integrationswürdige" und "Nichtintegrationswüdige" eingeteilt werden. Neben der Tatsache, daß dieses Mehr an Rechten für behinderte Menschen noch längst nicht deren Einlösung garantiert (siehe Kölner Urteil), bleiben Diskriminierungen bestehen, die zu bekämpfen weiterhin notwendig ist.
Doch im Zuge einer solchen Anpassungsentwicklung wird eine Zeitschrift wie die Randschau offensichtlich nicht mehr gebraucht. Es sollte uns eigentlich nicht weiter wundern, daß wir sowenig Resonanz auf die Randschau bekommen: Es gibt wohl kaum noch Leute die sie im Moment als Forum nutzen wollen oder können. Gleichzeitig ist  das Gesicht der Randschau so inhomogen wie die "KrüppelInnenszene", die sie vertreten soll und das verwirrt eventuell die LeserInnenschaft zusätzlich. Die Vielfalt an Beiträgen (bzw. der Forumcharakter) hat anscheinend den irritierenden Eindruck von Beliebigkeit hervorgerufen. Einer Zeitung, von der mensch gar nicht so genau weiß, wofür sie eigentlich steht, vertraut mensch auch nicht so gerne seine Artikel an.

Ob die Randschau in ihrer bisherigen Form endgültig am Ende ist, hängt von den Menschen ab, die ein solches Forum inhaltlich füllen können. Es könnte sein, daß es doch noch einige, vielleicht sehr wenige Leute gibt, denen die formale Gleichstellung nicht reicht. Die mit der Gesellschaft, wie sie hier organisiert ist, nach wie vor unzufrieden sind und an der Abschaffung der Verhältnisse, die sie unterdrücken, interessiert sind. Für sie könnte eine Zeitschrift wie die Randschau von Nutzen sein. Das setzt jedoch voraus, daß sich diese Menschen über das, was sie stört und über ihren Standpunkt klar werden und daß sie sich die Bedingungen und die Gesellschaft, in der sie leben, genau anschauen. Erst wenn sie ein Ziel haben, werden sie ein Mittel finden können, die Verhältnisse zu kritisieren und sich vielleicht zusammenzuschließen können um gemeinsam für Veränderungen zu kämpfen. Doch eine solche Entwicklung, die wir uns gewünscht hätten, ist leider im Moment nicht in Sicht.

Die Redaktion
 
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© Martin Seidler
Letzte Aktualisierung: 15.05.2003